Einleitung
Bitcoin ist kein Unternehmen, zahlt keine Dividenden, hat kein KGV und keine Quartalskonferenzen mit Management-Geschwätz. Trotzdem bewegen Milliarden an Kapital den Kurs – mal klar nach oben, mal brutal nach unten.
Wenn man Bitcoin wie eine klassische Aktie bewertet, rennt man permanent gegen die Wand. Mein Ansatz ist ein anderer: Ich betrachte Bitcoin als knappes, global handelbares, digitales Gut und nutze dafür Werkzeuge, die zu diesem Charakter passen – Zyklen, On-Chain-Daten, Kapitalströme, Stimmung und Makro-Umfeld.
In diesem Text erkläre ich, wie ich den Bitcoin-Kurs einordne, welche Modelle und Kennzahlen ich nutze – und wo die Grenzen liegen. Es geht nicht um Signale wie „Kauf jetzt“, sondern um ein klares Denkgerüst.
1. Warum Bitcoin anders bewertet wird als Aktien
Eine Aktie repräsentiert einen Anteil an einem Unternehmen:
- Es gibt Umsätze, Kosten, Gewinne und Cashflows.
- Man kann Kennzahlen wie KGV, Kurs-Buchwert-Verhältnis oder Free Cashflow verwenden.
Bitcoin ist etwas völlig anderes:
- Kein Unternehmen, nur ein Protokoll mit fixem Angebotsplan (21 Millionen).
- Kein Cashflow, keine Dividende, keine Bilanz – nur Angebot, Nachfrage, Nutzung und Vertrauen.
Deshalb nutze ich für Bitcoin vor allem:
- Zyklus- und Drawdown-Analyse statt KGV
- On-Chain-Indikatoren statt Gewinnschätzungen
- Kapitalströme und ETF-Flows statt Analystenratings
- Sentiment- und Makro-Daten statt Branchenreports
Das Ziel: Herausfinden, ob der Markt eher in einer Phase von Hype und Übertreibung ist oder in einer Phase von Angst, Kapitulation und Chancen.
2. Zyklen und Drawdowns – wie hart ist der Schlag wirklich?
Bitcoin läuft seit vielen Jahren in wiederkehrenden Zyklen:
- starke Aufwärtsphasen mit Übertreibungen,
- danach brutale Korrekturen und Bärenmärkte.
Ich schaue mir daher immer an:
- Wie weit sind wir vom letzten Allzeithoch entfernt (in Prozent)?
- Wie groß ist der aktuelle Rückgang im Vergleich zu früheren Bullenmarkt-Korrekturen?
- Wirkt der Rückgang eher wie eine normale Korrektur oder wie der Beginn eines Bärenmarktes?
Grober Rahmen:
- Bullenmarkt-Korrekturen von etwa 30–40 Prozent sind „normaler Wahnsinn“ im Bitcoin-Land.
- Tiefere Einbrüche von 60–80 Prozent sprechen eher für komplette Bärenmärkte nach Übertreibungsphasen.
Drawdowns erzählen also eine Geschichte: nicht nur „Aua, der Kurs ist gefallen“, sondern „Wo im Zyklus sind wir – Mitte des Ritts oder schon die Mauer?“.
3. On-Chain-Werkzeuge – MVRV, Realized Price, Halterstruktur
Das Besondere an Bitcoin: Ein großer Teil der Daten ist öffentlich einsehbar. Man kann grob sehen, zu welchen Preisen Coins zuletzt bewegt wurden und wie sich die Halter verhalten.
Ein paar der wichtigsten Werkzeuge, die ich nutze:
MVRV-Ratio
- Verhältnis von Marktwert (Market Cap) zu „Realized Cap“ (Wert basierend auf letzten bewegten Preisen).
- Grob gesprochen: Wie weit ist der Marktpreis von den durchschnittlichen Kaufpreisen entfernt?
- Hohe MVRV-Werte → viele sitzen auf hohen Buchgewinnen, Risiko für Gewinnmitnahmen.
- Sehr niedrige Werte → viele sitzen tief im Verlust, Panik und Kapitulation werden wahrscheinlicher.
Realized Price / Realized Cap
- Realized Price ist der durchschnittliche „Kaufpreis“ aller Coins.
- Handelt der Kurs deutlich über diesem Wert, ist die Stimmung oft optimistisch bis gierig.
- Handelt der Kurs darunter, herrscht oft Angst bis Resignation.
Kurzfristige vs. langfristige Halter
- Kurzfristige Halter (Short Term Holders) sind oft nervöse Hände mit geringer Haltedauer.
- Langfristige Halter (Long Term Holders) lassen sich von normalen Schwankungen weniger beeindrucken.
- Wenn Kurzfristige massiv im Verlust sind und aussteigen, während Langfristige ruhig bleiben oder sogar akkumulieren, ist das für mich ein Zeichen für Bereinigung statt Systembruch.
200-Tage-Linie (200d MA)
- Ein klassischer Trendanker.
- Deutlich darüber → eher bullisches Umfeld.
- Deutlich darunter → eher riskanter Bereich, besonders bei schwachem Sentiment.
Ich nutze sie nicht als magische Grenze, sondern als Orientierung: Befinden wir uns in einer Phase mit Rückenwind oder eher Gegenwind?
4. Kapitalströme und Marktstruktur – wer kauft, wer verkauft?
Neben dem Preis ist wichtig, woher das Geld kommt und wohin es fließt. Ein paar Dinge, auf die ich achte:
ETF-Zuflüsse und -Abflüsse
- Spot-ETFs bündeln viel Nachfrage, aber eben auch viel Panik.
- Starke Zuflüsse nach oben – oft Hype und FOMO-Geld.
- Starke Abflüsse in Korrekturen – nervöse Investoren, die spät eingestiegen sind.
Für mich sind große Abflüsse nicht automatisch ein Todesurteil, sondern eher ein Hinweis:
- schwache Hände geben ab,
- langfristig denkende HODLer können diese Coins aufnehmen.
Bestände auf Börsen
- Nimmt die Menge der Coins auf Börsen langfristig ab, ist das ein Zeichen für mehr Selbstverwahrung.
- Je weniger Coins auf Börsen liegen, desto geringer ist das potenzielle Verkaufsvolumen „auf Knopfdruck“.
Große Bewegungen („Whales“)
- Ungewöhnlich große Transaktionen können Hinweise geben, sollten aber nicht überbewertet werden.
- Ich sehe sie als Puzzleteil, nicht als Orakel.
5. Sentiment und Psychologie – Fear & Greed, Medien und Narrativ
Bitcoin ist extrem psychologisch geprägt. Das gleiche Asset, das bei 30.000 USD als „tot“ gilt, wird bei 80.000 USD als „sicherer Hafen“ gefeiert.
Daher schaue ich auf:
Sentiment-Indikatoren
- Indizes wie „Fear & Greed“ geben ein grobes Bild.
- Extreme Gier → Vorsicht, Übertreibung möglich.
- Extreme Angst → viele haben schon verkauft oder trauen sich nicht mehr rein.
Medien-Narrativ
- Überschriften wie „Bitcoin ist tot“ oder „Bitcoin wird zur Weltreservewährung“ sagen mehr über Stimmung aus als über inneren Wert.
- Ich nehme sie als Kontra-Signal ernst, nicht als Wahrheit.
Verhalten von Privatanlegern
- Kommt plötzlich überall die Frage „Jetzt noch einsteigen?“ – oft späte Zyklusphase.
- Totale Funkstille und Müdigkeit gegenüber Bitcoin-Themen – oft spannend für langfristige Käufer.
6. Makro-Umfeld und Bitcoin Power Law
Bitcoin existiert nicht im Vakuum. Zinsen, Inflation, Liquidität und Risikoappetit der Märkte beeinflussen die Nachfrage.
Wichtige Makro-Faktoren:
- Zinsniveau und Geldpolitik (locker vs. restriktiv)
- Risikoappetit an den Aktienmärkten (Risk-On vs. Risk-Off)
- Entwicklung der Liquidität (zieht Kapital aus Risikoanlagen ab oder drückt es hinein?)
Bitcoin wird oft mit Tech- und Wachstumswerten zusammen gehandelt. Wenn Risikoanlagen allgemein unter Druck stehen, trifft es Bitcoin fast immer mit – unabhängig davon, wie „gut“ die On-Chain-Daten aussehen.
Bitcoin Power Law
- Langfristiges Modell, das den Bitcoin-Preis auf einer logarithmischen Skala beschreibt.
- Für mich kein Preisziel-Orakel, sondern ein grober Fair-Value-Korridor über viele Jahre.
- Hilfreich, um zu sehen, ob wir weit über oder unter dem langfristigen Trend liegen.
Ich benutze es nur als langfristige Einordnung, niemals als kurzfristige Kauf-/Verkaufsgrundlage.
7. Mein Prozess: vom Datenhaufen zum Gesamtbild
In der Praxis mache ich keine Raketenwissenschaft, sondern gehe ungefähr so vor:
-
Wo stehen wir im Zyklus?
Abstand zum Allzeithoch, Größe des aktuellen Drawdowns, Verlauf der letzten Monate. -
Was sagen On-Chain und Trend?
MVRV (hoch, neutral, niedrig), Realized Price vs. Marktpreis, Halterstruktur, Lage zur 200-Tage-Linie. -
Was machen Kapitalströme und ETFs?
Starke Zuflüsse (Hype) oder starke Abflüsse (Bereinigung)? -
Wie ist die Stimmung?
Angst oder Gier, Medienhype oder Leichenfledderei? -
Wie sieht das Makro-Umfeld aus?
Rückenwind oder Gegenwind für Risikoanlagen insgesamt?
Aus diesen Ebenen entsteht ein Bild: eher überhitzt, eher fair bewertet oder eher unterbewertet mit hoher Unsicherheit.
Dieses Bild nutze ich nicht, um Punktlandungen zu machen, sondern um über Ranges nachzudenken:
- In welchen Zonen würde ich eher nachkaufen?
- In welchen Zonen wäre ich vorsichtiger mit neuem Kapital?
8. Grenzen, Risiken und warum es keine Signale gibt
So strukturiert das alles klingt – es bleibt ein hoch volatiles, spekulatives Asset.
Wichtige Punkte, die ich mir selbst immer wieder klar mache:
- Kein Modell hat jemals Garantiecharakter.
- On-Chain-Daten sind stark, aber sie können plötzliche Schocks (Regulierung, Makro-Crash, politische Eingriffe) nicht vorhersagen.
- Auch nach technisch „günstigen“ Signalen kann der Kurs noch einmal brutal fallen.
- Wer Bitcoin kauft, muss mental und finanziell mit massiven Drawdowns leben können, ohne seine Lebensführung zu gefährden.
Ich sehe Bitcoin als Teil einer Gesamtstrategie und nicht als All-in-Zock. Die hier beschriebenen Methoden helfen mir, die Lage einzuordnen – sie ersetzen nicht die eigene Verantwortung.
Fazit
Bitcoin lässt sich nicht mit einem simplen KGV erschlagen. Wer das versucht, wird ständig das Gefühl haben, „etwas stimmt nicht“.
Mein Ansatz:
- Zyklen und Drawdowns ernst nehmen,
- On-Chain-Daten als Einblick in das Verhalten der Halter nutzen,
- Kapitalströme und ETF-Flows beobachten,
- Sentiment und Makro als Rahmen verstehen,
- und daraus ein Gesamtbild bauen – ohne zu glauben, das sei eine Glaskugel.
Wenn du meine Bitcoin-Kursanalysen liest, basiert genau darauf die Einordnung: nicht auf magischen Linien, sondern auf einem Bündel von Signalen, das helfen soll, die eigene Denkarbeit zu strukturieren.
Keine Finanz-, Steuer- oder Rechtsberatung – nur meine persönliche Alien-Sicht auf ein sehr spezielles Stück Code, das für viele zur härtesten Form von Geld geworden ist.